Was dahinter steckt

Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum?

Den Sommer 2021 habe ich mir irgendwie anders vorgestellt: Mehr Sonne, weniger Corona, mehr Chillen, weniger Stress. Und vor allem: Einen anderen Cocktail.

Als ich im Winter 2020 meine Leidenschaft fürs Mixen neu entdeckt habe, habe ich mich auf den nächsten Sommer gefreut: All die Drinks ausprobieren, die gerade keine Saison haben und im Winter irgendwie nicht richtig funktionieren, sprich: erfrischende Longdrinks und Highballs. Viel Eis, viel Zitrus, viel Kohlensäure. Wohl irgendwas mit Gin, denn der gilt im Vergleich zu anderen Spirituosen als erfrischend und passt schließlich zu allem: Gin Tonics, Gin Rickeys, Gin Fizzes.

Aber erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Wochenlanger Regen, Stress mit Handwerkern und mangelnde Betreuungsmöglichkeiten für den Nachwuchs ließen weder richtiges Sommerfeeling noch Entspannung aufkommen – jeden Tag neue Herausforderungen, zusätzlich zu den Altlasten. Aber auch anstrengende Tage gehen zu Ende, Frau und Kind liegen irgendwann im Bett und die Nacht vor einem. Dann wird es Zeit, ein kleines Lager auf dem Balkon aufzuschlagen: Cocktail zubereiten, Wohnzimmersessel nach draußen stellen, alle Lichter ausschalten – Sterne gucken, Satelliten verfolgen, Ruhe genießen. Am Glas nippen.

Woran ich den Sommer über genippt habe, war allerdings alles andere als erwartet: Statt Gin habe ich nämlich völlig überraschend Rye Whiskey für mich entdeckt.

Wie das?

Wer mich kennt (oder hier schon den ein oder anderen Artikel auch „zwischen den Zeilen“ gelesen hat), der weiß, dass ich Whisk(e)y in der Theorie zwar hochinteressant finde, mir in der Praxis allerdings häufig schwer damit tue.

Als ich mich vor einiger Zeit dem Thema „Cocktails“ gewidmet habe, bin ich in vielen Quellen immer und immer wieder über den Old Fashioned gestolpert, quasi die Mutter aller Cocktails (von der ich bis dato jedoch noch nie etwas gehört hatte). Das Interesse war geweckt, die Ernüchterung allerdings ähnlich groß wie beim Martini. Pfui Teufel! Wie kann man sowas nur trinken? Wie kann der Cocktail, der Cocktail im eigentlichen Sinne, der Drink, der einer ganzen Gattung von Mixgetränken seinen Namen gab, nur dermaßen bescheiden schmecken?

Zur Erinnerung: Ein Old Fashioned besteht aus einer Spirituose, etwas Zucker, ein paar Tropfen Bitters und einem Spritzer (Soda-) Wasser. Bei der Spirituose handelt es sich standardmäßig um einen American Whiskey, also Bourbon oder Rye. Rye gilt als besonders authentisch, weil amerikanischer Whiskey zu der Zeit, aus der der Old Fashioned stammt (pre-prohibition era), hauptsächlich noch aus Roggen gewonnen wurde.

Voller Experimentierfreude habe ich mir also zwei Flaschen zugelegt – einen Bourbon, einen Rye, beide von der gleichen Destillerie, um eine saubere Baseline für meinen Vergleich zu haben. Das Ergebnis hatte ich oben schon vorweg genommen: Beide Varianten konnten mich überhaupt nicht überzeugen.

Warum nur, warum? 😩

Die Suche nach Antworten trieb mich direkt in die Arme eines Mannes: Don Draper.

Genauso wie es unmöglich ist, einen Artikel über den White Russian ohne Referenz auf The Dude in The Big Lebowski zu lesen/schreiben, so ist dies auch beim Old Fashioned nicht möglich ohne über Don Draper in Mad Men zu stolpern.

Eine Staffel nach der anderen habe ich verschlungen – und dabei der eigentlichen Schlüsselszene zunächst einmal gar keine Bedeutung beigemessen: In der dritten Folge der dritten Staffel mischt Don sich selbst und seinem neuen Bekannten Conny an einer verlassenen Hotelbar einen – ja, was wohl?! – Old Fashioned. Und auch da stellt er schon die Frage aller Old-Fashioned-Fragen: „Rye ok with you?“

Diese Szene ist auch Gegenstand von Steve the Bartenders Video „5 x COCKTAILS made Famous by Film & TV„. In diesem Video nimmt er ikonische Drinks aus Film und Fernsehen unter die Lupe und mischt diese „originalgetreu“ nach (und ja, auch der White Russian à la The Dude ist mit von der Partie – aber um den geht es ja hier gerade nicht).

Schnell wird klar, dass das ein gar kein so leichtes Unterfangen ist: Zutaten und Mengenangaben erschließen sich nicht eindeutig, die saloppe Art der Zubereitung durch die Leinwandhelden tun ihr Übriges. „Please don’t let this be a reference on my bartending skills…“ bittet Steve seine Zuschauer, nachdem er gerade den kompletten Inhalt des Rührglases in den Tumbler geschüttet hat und nun vergeblich versucht, den restlichen Zucker darin aufzulösen.

Mit den Bartending Skills ist das aber so eine Sache… Warum sich millilitergenau an ein Rezept halten, um sich anschließend über das Ergebnis zu ärgern? Also back to the roots. Böse Zungen behaupten ja, Cocktails wurden erfunden, um mit Zucker und Bitters den Geschmack von minderwertigem Fusel zu übertünchen.

Was vor 100 Jahren schon funktioniert hat, funktioniert bestimmt auch heute noch!

Also: Rezept (und etwas deplatzierten Bartender-Stolz) über Bord geworfen und einfach mal drauflos gemischt. Als Faustregel gilt: Mehr von allem was schmeckt, vor allem Zucker, aber auch Eis, denn das betäubt ja schließlich die Geschmacksnerven. Und auch mehr von dem, was eigentlich gar nicht rein gehört – Zitrone, Wasser, Kohlensäure.

Und siehe da: Es schmeckt! Nur ein Old Fashioned ist es eben nicht mehr. Eher ein Old Fashioned based Whiskey Soda Highball (gebaut im Lowball-Glas) à la Don Draper mit einem Spritzer Zitrone, free-poured versteht sich.

Wie er gemacht wird

Zutaten, Zubereitung und Zierrat.

Zutaten

  • 90 ml Rye Whiskey
  • 30 ml Soda
  • 2 Spritzer Angostura Bitters
  • 1 Barlöffel weißer Zucker
  • 1/2 Zitrone

Zubereitung

Der Cocktail wird im Glas gebaut. Zuerst einen gehäuften Barlöffel weißen Zucker in einen Tumbler geben und zwei Spritzer Angostura Bitters darüber spritzen. Den Whiskey hinzufügen. Eine halbe Minute umrühren, um den Zucker aufzulösen. Drei Eiswürfel mit einer Kantenlänge von 3 x 3 cm ins Glas geben. Ein bis zwei Minuten lang umrühren bis der Tumbler schön kalt, der Whiskey etwas verwässert und der Zucker weiter aufgelöst ist. Die verbrauchten Eiswürfel mit dem Barlöffel aus dem Glas fischen und durch neue ersetzen. Eine Zitrone halbieren und fünf, sechs Tropfen an den Eiswürfeln vorbei in den Whisky pressen. Einmal leicht umrühren. Mit Soda auffüllen. Abschließend noch zwei, drei Tropfen Zitronensaft über die herausstehenden Eiswürfel träufeln.

Dekoration

Keine.

Um ehrlich zu sein, habe ich den ganzen Sommer über den Cocktail nach Gefühl zubereitet (auf Cocktail-Englisch nennt sich das free-pouring oder eye-balling). Da ich immer das gleiche Glas verwendet habe, konnte ich die Mengen bald gut abschätzen. Erst als mir die Idee gekommen ist – wahrscheinlich während ich mir gerade ein Exemplar kredenzt habe – einen Artikel darüber zu schreiben, habe ich mir einmal die Mühe gemacht, genau nachzumessen.

Der Vollständigkeit halber füge ich auch noch einmal das Rezept und den Link zum Video von Steve the Bartender ein, welches mich zu meinem eigenen Experiment inspiriert hat.

Zutaten

  • Zuckerwürfel
  • Einige Spritzer Angostura Bitters
  • 60ml Rye Whiskey
  • Sodawasser

Zubereitung

Zuckerwürfel in einen Tumbler geben und mit ein paar Spritzern Angostura Bitter beträufeln. Zuckerwürfel zerstampfen. Whiskey und Soda in ein mit Eis gefülltes Rührglas geben und zwei-, dreimal umrühren. Inhalt mitsamt Eiswürfeln vom Rührglas in den Tumbler umkippen („dirty dump“).

Dekoration

Ein Orangenschnitz.

Video

Wie er aussieht

Wen das Auge nicht überzeugen kann, überredet auch der Mund nicht.

Zucker unten, Zitrone oben. Dazwischen: viel Eis. Auf Dekoration habe ich verzichtet, noch nicht einmal für einen Strohhalm hat es gereicht. Genau so habe ich ihn auch im Sommer getrunken. ABER: Das Foto ist eigens für diesen Artikel gestellt und enttäuscht mich gerade sehr. Ich habe es im Winter drinnen in der Hausbar aufgenommen und da fehlt ein entscheidendes Detail: Im Sommer läuft das Glas bei wärmeren Außentemperaturen schön frostig an, was unglaublich attraktiv aussieht – wohl keine andere „Deko“ verspricht mehr Erfrischung.

Wie er schmeckt

De gustibus non est disputandum: Vorurteile, erster Eindruck, Tasting Notes und zweiter Eindruck.

Die Welt könnte so einfach sein: Genug Zucker, genug Zitrone, genug Eis – und der Whiskey ist dann auch kein Problem mehr.

Ganz so einfach war es in Wirklichkeit dann aber doch nicht. Denn nachdem ich mich einen ganzen Sommer durch diverse Ryes probiert habe, muss ich gestehen: Meine ursprüngliche Auswahl (Bulleit… so, nun isses raus!) hat leider nicht wirklich meinen Geschmack getroffen. Die Offenbarung kam dann erst in Form einer Flasche Knob Creek, die halt so ganz anders (für mich: besser) geschmeckt hat. Tief beeindruckt von der Tatsache, dass es tatsächlich auch für einen Aroma-Legastheniker wie mich wahrnehmbare Geschmacksunterschiede gibt, habe ich mich die folgenden Wochen durch ein Sammelsurium an Rye Whiskeys getrunken. Gut gefallen haben mir dabei der Knob Creek, der Woodford Reserve und der Jack Daniel’s. Weniger begeistert war ich vom Bulleit, dem Rittenhouse und dem Jim Beam. Wirklich erklären kann ich mir das nicht, gelten doch gerade Bulleit und Rittenhouse als typische Vertreter ihrer Art, bekannt durch zahlreiche Youtube-Videos.

Wie schmeckt der Drink nun im Optimalfall?

Theorie und Praxis liegen hier eng beieinander, das heißt der Drink schmeckt genau so wie man es nach Lektüre des Rezepts vermuten würde: Als erstes steigt einem der Zitrusduft in die Nase, denn dort gehört er hin. Zwar landen auch einige Tropfen (der größere Teil sogar) im Drink, aber essenziell sind die Spritzer, die auf den herausragenden Eiswürfeln oder auf dem Glasrand landen: Sie verleihen dem Drink einen erfrischenden Einstieg durch die Nase. Vom Rye selbst riecht man dann nicht mehr so arg viel, außer man hat einen erwischt, der sich aufgrund seiner „Würze“ oder aber seines Alkoholgehalts gegen die Zitrone durchsetzen kann.

Beim ersten Schluck sollte die Zitrone das Feld für die anderen Zutaten räumen. Im Drink soll sie zwar für eine gewisse „Frische“ sorgen, aber nicht – wie bei einem Sour, einem Rickey oder Collins – den Geschmack dominieren. Die Kombination von Rye, Zitrone und Angostura Bitters schmeckt erwartungsgemäß zwar „trocken“. aber nicht „schlimm“ – dafür sorgt die ganz schön große Menge Zucker im Glas. Zucker ist ohnehin erst dann genügend enthalten, wenn sich die Kristalle am Boden nicht weiter auflösen 😉

Das Mineralwasser dient dazu, die immerhin 90 ml Alkohol etwas zu strecken, verleiht dem Drink aber auch eine gewisse Leichtigkeit und Frische wie man sie von Highballs kennt. Im Gegensatz zum Highball würde ich Spirituose und Soda nicht mischen, sondern die Soda auf dem Whiskey „floaten“. Die Kohlensäure zusammen mit der Zitrone ergibt beim Nippen (zur Erinnerung: es gibt keinen Strohhalm!) einen erfrischenden Einstieg in das ganze Konstrukt.