Was dahinter steckt

Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum?

Es gibt zwar etliche Klassiker unter den Cocktails, aber wohl nur einen einzigen, der stellvertretend für die gesamte Branche steht: Der Martini – der „König der Cocktails“. Alleine der charakteristische Glaskelch, aus dem er getrunken wird, ist eine Ikone an sich.

Und damit beginnt bereits mein Elend.

Der Martini“.

Gibt es den überhaupt?

Der Beantwortung dieser Frage könnte man eine Dissertation widmen. Die kurze Antwort ist freilich: Nein. Denn neben dem „offiziellen“ Rezept der International Bartenders Association (IBA) existiert eine überwältigende Anzahl an Variationen – das kennt man sonst nur vom Negroni.

Um trotzdem einen Einstieg in das Thema zu finden, lauten meine Arbeitshypothesen:

  • Die Grundzutaten eines Martinis sind Gin und Dry Vermouth.
  • Er wird gerührt und nicht geschüttelt.

„Waaas? Aber James Bond trinkt seinen Martini doch mit Wodka – und geschüttelt, nicht gerührt!!!1!“

Ja, tut er. Dann ist es aber nicht mehr der Martini, sondern halt ein Wodka Martini, geschüttelt und nicht gerührt.

Ich orientiere mich bei meinen Arbeitshypothesen am Rezept der IBA. Dort ist er – wie in vielen anderen Rezeptsammlungen auch – aufgrund der geringen Menge und Verwendung von Dry Vermouth auch explizit als „Dry Martini“ gelistet. Ich behaupte aber mal, dass dir mit hoher Wahrscheinlichkeit auch immer dann ein trockener Martini serviert wird, wenn dieser Namenszusatz auf der Getränkekarte fehlt.

Fangen wir nun einmal damit an, das Verhältnis der beiden Zutaten zu variieren: Verwendet man weniger von dem Dry Vermouth, wird der Martini noch trockener, als er meinem Geschmack nach ohnehin schon ist. Cara Devine von Behind the Bar nimmt anstatt den offiziellen 10 ml Dry Vermouth nur einen Barlöffel voll – das entspricht ungefähr 5 ml. In anderen Rezepten ist die Rede davon, mit dem Dry Vermouth nur ein paar Umdrehungen lang die Eiswürfel im Rührglas zu benetzen und ihn danach wegzuschütten, bevor man den Gin nachkippt und damit weiterrührt. Oder: Das Cocktailglas wird damit nur ausgeschwenkt, bevor man sich den puren Gin eingießt. Diese Variante trägt den sprechenden Namen In & Out Martini, weil der Wermut nur kurz ins Cocktailglas gegeben und nach dem Ausschwenken sofort wieder weggeschüttet wird.

Du denkst jetzt, es geht nicht mehr trockener? Da muss ich dich enttäuschen. Man kann den Dry Vermouth schließlich auch ganz weglassen und den Gin pur trinken. Das Ergebnis nennt man dann einen Bone Dry Martini, Desert Martini oder Churchill Martini. Winston Churchill, seines Zeichens Hutträger, Zigarrenraucher und ehemaliger Premierminister von Großbritannien, soll auf die Frage danach, wie er seinen Martini am liebsten trinke, geantwortet haben: „The only way to make a martini is with ice-cold gin, and a bow in the direction of France.“ Inwiefern diese Anekdote der Wahrheit entspricht, versucht der Autor dieses Artikels herauszufinden: The „Churchill Martini“ Is Iconic. But Is It a Myth?

Was in die eine Richtung geht, geht natürlich auch in die andere: Das Gegenteil von „dry“ ist „wet“.

In einem ersten Schritt kannst du den Anteil von Dry Vermouth erhöhen. Das mag auf den ersten Blick widersprüchlich klingen: Warum wird das Ergebnis, also der Martini, weniger trocken, wenn doch mehr trockener Wermut enthalten ist? Ich beantworte mir die Frage so: Das „trocken“ im Dry Vermouth dient zur Abgrenzung gegenüber dem lieblichen Sweet Vermouth – und nicht gegenüber dem Gin. Du kannst auch einmal die Probe aufs Exempel machen, indem du die Zutaten pur trinkst und vergleichst.

Erhöhst du den Anteil an trockenem Wermut auf die Hälfte, spricht man – quelle surprise – von einem 50-50 Martini. Du kannst das Spiel auch noch weiter treiben: Landet am Ende mehr Dry Vermouth als Gin im Glas, dann hast du, weil das Mischungsverhältnis gegenüber dem Ausgangsrezept verkehrt wurde, einen Reverse Martini.

In einem zweiten Schritt kannst du neben dem Dry Vermouth auch gleichzeitig Sweet Vermouth verwenden und dir einen Perfect Martini mixen.

In einem dritten Schritt lässt du den trockenen Wermut einfach ganz weg und verwendest nur noch süßen Wermut. This is as wet as you can get!

Es geht aber nicht nur „wet“ es geht auch „dirty“. Von einem Dirty Martini spricht man, wenn eine mehr oder minder große Menge Olivenlake (ja, die Brühe, in dem die Deko eingelegt ist) mit in den Drink gibt. Je nach Rezept ist dabei von ein bis drei Barlöffel die Rede, was ca. 5 bis 15 ml auf einen „normalgroßen“ Martini entspricht.

Wer es besonders „dirty“ mag, gibt auch noch zermatschte Oliven mit ins Glas.

Du siehst, dass sich alleine durch das Mischungsverhältnis der Basiszutaten eine Fülle von Geschmacksrichtungen ergeben. Bei meinem Streifzug durch diverse Rezeptsammlungen – online wie offline – bin ich eigentlich immer über mindestens zwei Rezepte gestoßen: Eines für den „normalen“ trockenen Martini (den ich in meinen Quellen auch immer zuerst genannt finde) und eines für eine lieblichere Ausgabe. Verfeinert werden die Grundrezepte häufig noch mit Spritzern von Angostura- oder Orangebitters.

Auch mit der Dekoration lassen sich unterschiedliche Geschmacksnuancen erzeugen: Neben der klassischen Olivendeko hat sich auch die Zitronenschale etabliert, welche man am besten über dem fertigen Drink „anknickt“, um die ätherischen Öle freizusetzen. Ersetzt man die Olive(n) dagegen durch eine Cocktailzwiebel (im Supermarkt oft im gleichen Regal unter dem Begriff „Silberzwiebel“ zu finden), spricht man nicht mehr von einem Martini, sondern von einem Gibson.

Was kommt nun dabei heraus, wenn man Grundzutaten weglässt, austauscht oder andere hinzufügt? Inwiefern darf sich das fertige Ergebnis dann noch „Martini“ nennen?

Fangen wir mit dem Gin an. Eine populäre Variante habe ich weiter oben schon erwähnt: Den Wodka Martini (oft verballhornt zu Wodkatini). Der Name lässt es schon vermuten: Hier wird der Gin durch Wodka ersetzt, und zwar zur Gänze. Verwendest du beides, also Gin und Wodka, und gibst noch Lillet Blanc (besser: Cocchi Americano) dazu, kommt ein Vesper Martini dabei heraus. Diesen Drink „erfindet“ James Bond in „Casino Royal“ und benennt ihn nach einer Frau namens Vesper Lynd. Eigentlich verlangt das Rezept im Original nach Kina Lillet, der aber seit den 80er Jahren nicht mehr hergestellt wird und daher ersetzt werden muss.

Auch den Dry Vermouth kann man gegen andere Zutaten austauschen. Ersetze den Dry Vermouth durch Sake, einen japanischen Reiswein, und du erhältst einen Saketini (die Bezeichnung „Reiswein“ ist irreführend, da der Herstellungsprozess eher dem von Bier gleicht). Einen Smoky Martini bereitest du wie einen In & Out Martini zu – nur verwendest du hierfür peated Scotch, also rauchigen schottischen Whisky.

Abschließend möchte ich dir noch einige weitere bekannte Vertreter aufzählen, die aber – abgesehen vom Namen oder dem Glas, in dem sie in der Regel serviert werden – kaum mehr etwas mit einem „richtigen“ Martini gemeinsam haben.

  • Einen trockenen Martini mit einem Schuss Maraschinolikör nennt man Imperial Martini.
  • Eine deutlich größere Menge Maraschinolikör gehört dagegen in einen Martinez. Außerdem wird der trockene Wermut durch den süßen, roten ersetzt.
  • Um beim Thema zu bleiben: Ein Rose Martini erhält sein Kirscharoma wahlweise durch Cherry Brandy, Kirschwasser oder Kirschsaft – oder eine Kombination dieser Zutaten.
  • Du bevorzugst Apfel? Probiere den Star der 90er Jahre: den Apple Martini (oder kurz: Appletini). Seinen Geschmack erhält er durch Apfellikör und/oder Apfelsaft.
  • Es bleibt fruchtig: Der Breakfast Martini wird gemischt aus Gin und einem Orangenlikör (z. B. Triple Sec oder Cointreau). Achja, und Orangenmarmelade.
  • Ein Coffee Martini oder Espresso Martini basiert auf Wodka. Er enthält neben Kaffeelikör auch „richtigen“ Kaffee bzw. Espresso.
  • Ein French Martini enthält Wodka, Chambord (ein französischer Beerenlikör) und Ananassaft.
  • Unter der Bezeichnung „Bikini Martini“ kursieren zwei gänzlich unterschiedliche Rezepte. Die einzige Gemeinsamkeit: Beide haben rein gar nichts mehr mit dem „richtigen“ Martini zu tun. Die eine Variante enthält Kokosnuss-Rum, Wodka, Ananassaft und Grenadinesirup – quasi ein Tiki-Drink im Cocktailspitz. Die andere Variante besteht aus Gin, Blue Curaçao und Pfirsichschnaps.
  • Genauso weit vom Original entfernt ist auch ein Porn Star Martini: Dieser besteht aus Wodka mit Vanille-Aroma, Passoã (einem Passionsfrucht-Likör), Passionsfrucht- und Limettensaft. Daneben wird ein Prosecco im Shot-Glas serviert.

Wie er gemacht wird

Zutaten, Zubereitung und Zierrat.

Nach dem offiziellen Rezept der IBA kommt nur Gin und Dry Vermouth ins Glas, von der Olive als Dekoration einmal abgesehen. Dieses Rezept bildet die Grundlage für zwei leichte Abwandlungen, die ich unten aufgeführt habe: Weil ich mehr als nur Gin schmecken will, verdopple ich gleich einmal den Wermut-Anteil auf 20 ml. Den umgekehrten Weg geht Cara Devine von Behind the Bar – sie verwendet nur die Hälfte, nämlich einen Barlöffel voll (ca. 5 ml). Außerdem legt sie sehr großen Wert darauf, dass nicht nur alle Zutaten gut vorgekühlt sind, sondern auch das Rühr- und Cocktail-Glas.

Durch ein paar Spritzer Orange Bitters erhält die Basisvariante etwas Tiefgang. Diese Praktik habe ich sowohl bei Greg von How To Drink als auch bei Leandro von The Educated Barfly angetroffen. Beide mögen es übrigens gar nicht trocken und machen gleich Halbe-Halbe, also einen 50-50 Martini. Natürlich haben sie auch noch komplexere Rezepturen in petto; diese habe ich jedoch der Übersichtlichkeit halber an dieser Stelle nicht aufgeführt – du hast ja im Text weiter oben gesehen, wie schnell das ausarten kann. Am besten schaust du dir einfach mal die verlinkten Videos an. Besonders empfehlenswert ist die Folge, in der die beiden Bartender mit ihrer eigenen Interpretation des Martinis gegeneinander antreten.

Zutaten

  • 60 ml Gin
  • 20 ml Dry Vermouth

Zubereitung

Die Zutaten in ein mit Eiswürfeln gefülltes Rührglas geben. Umrühren. In ein vorgekühltes Martini-Glas abseihen.

Dekoration

Eine aufgespießte, entkernte Olive.

Zutaten

  • 60 ml Gin
  • 10 ml Dry Vermouth

Zubereitung

Alle Zutaten in ein mit Eiswürfeln gefülltes Rührglas geben. Gut umrühren. In ein vorgekühltes Martini-Glas abseihen.

Dekoration

Eine Zitronenschale über dem Glas ausdrücken oder, wenn gewünscht, mit einer grünen Olive garnieren.

Zutaten

  • 60 ml Gin aus dem Gefrierfach
  • 5 ml (1 Barlöffel) Dry Vermouth aus dem Kühlschrank

Zubereitung

Gin und Wermut in ein vorgekühltes Rührglas geben. Das Rührglas mit Eis auffüllen und umrühren, bis der gewünschte Grad an Verdünnung erreicht ist. In ein Coupe- oder Martini-Glas abseihen.

Dekoration

Eine oder drei Oliven auf einem Cocktailspieß.

Videos

Zutaten

  • 45 ml Gin
  • 45 ml Dry Vermouth
  • 2-4 Spritzer Orange Bitters

Zubereitung

Die Zutaten in ein mit Eiswürfeln gefülltes Rührglas geben. Umrühren. In ein vorgekühltes Martini-Glas abseihen.

Dekoration

Ein Orangen-Twist.

Videos

Wie er aussieht

Wen das Auge nicht überzeugen kann, überredet auch der Mund nicht.

Unaufdringlich schaut er aus in dem noch leicht angelaufenen Cocktailspitz, garniert mit einer einzigen Olive.

Sonst nichts.

Understatement pur.

Das will gar nicht so recht zu dem Habitat passen, in dem ich ihn mir anzutreffen vorstelle: Auf Festen, Empfängen und Galas der oberen Zehntausend, verschwenderisch feiernd, sich selbst beweihräuchernd, der Lebenswirklichkeit entrückt. Egal, ob sich in den Goldenen 20ern Adel, Minister und Schwerindustrielle im Herrenclub begegnen, oder sich 100 Jahre später Vorstandsvorsitzende, Oligarchensöhne und Internet-Millionäre im angesagten Szene-Lokal die Eier schaukeln Klinke in die Hand geben.

Anfangs wundere ich mich etwas über den Grünstich, ist der Drink doch auf vielen „Pressefotos“ sonst glasklar abgelichtet. Na gut, das liegt am Wermut und harmoniert ja durchaus mit der Olive. Eine Zitronen- oder Orangenzeste kann ich mir – rein von der Optik her – irgendwie nicht so recht vorstellen, und Scheiben schon gar nicht.

Beim Schwenken läuft der Inhalt wieder ölig den breiten Glasrand hinab. Das gilt gemeinhin als Zeichen von Qualität.

Dem werden wir gleich einmal auf den Grund gehen.

Wie er schmeckt

De gustibus non est disputandum: Vorurteile, erster Eindruck, Tasting Notes und zweiter Eindruck.

Jesus, Maria und Josef! Da huldige ich seitenweise einer „Ikone“ der Cocktailkultur, rede von „Understatement“ und stelle „Hypothesen“ auf. Und dann das!

Wie kann eine Ikone bloß so scheiße schmecken?

(Moment mal: Ist schlechter Geschmack nicht eine Charaktereigenschaft der Reichen und Schönen? Bin ich zu sehr Plebejer, um den Drink zu würdigen? Hilft es, wenn ich mir eine Fliege umbinde?)

Statt nach Sex und Luxus schmeckt der Drink wie Oma unterm Arm.

„Trocken“ heißt das wohl in der Fachsprache und steht in anderen Zusammenhängen oft genug für Qualität, Extravaganz und guten Geschmack (sowohl des Drinks als auch des Trinkers).

Ich esse die Deko auf (und ärgere mich, dass ich nur eine statt drei Oliven dafür verwendet habe).

Der zweite Schluck. Auch nicht besser. Meine Mandeln schrumpeln augenblicklich auf Rosinengröße zusammen. (Fun Fact: Ich habe gar keine Mandeln mehr – aber wenn ich noch welche hätte, dann würden die augenblicklich zusammenschrumpeln, da bin ich mir sicher!) So ist das immer, wenn ich Gin pur trinke. Darüber hinaus hinterlässt der trockene Wermut einen pelzigen Geschmack auf der Zunge und in den Backen. Ich laufe zum Kühlschrank und hole mir das Glas mit den restlichen Oliven.

Wenige Schlucke später: Das Glas mit Oliven ist leer. Das Glas mit dem Martini noch halb voll. Ich gebe auf.

Im Nachhinein kann ich mir nicht so recht erklären, warum meine Erwartungen an den Martini derart hoch waren. Ich meine: Gin pur schmeckt mir nicht besonders und beim trockenen Wermut musste ich auch ganz schön würgen. Warum bin ich dann davon ausgegangen, dass beides zusammen plötzlich die geschmackliche Offenbarung sein wird? Da habe ich mich wohl von der Geschichte und vom Ruf des „Königs der Cocktails“ zu sehr blenden lassen.

Ein Trost bleibt jedoch: Wenn der Artikel eines gezeigt hat, dann dass es eine schier unendliche Anzahl an Variationsmöglichkeiten gibt. Nach diesem Experiment weiß ich immerhin – nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis –, mit welcher Geschmacksrichtung ich nichts anfangen kann. Zeit herauszufinden, wie es leckerer geht!