Was dahinter steckt

Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum?

Überraschend wenige Cocktails sind nach Personen benannt, egal ob real oder fiktiv. Wenn doch, dann entweder, weil sie ihn – zumindest der Legende nach – erfunden oder aber gerne getrunken haben sollen. Zur erstgenannten Kategorie zählt beispielsweise der John Collins, zur zweitgenannten der Negroni. Die dritte Kategorie ist wohl die umfangreichste: Cocktails, die man zu Ehren von jemandem auf seinen Namen getauft hat. So geschehen beim Stummfilmkomiker Charlie Chaplin oder dem schottischen Viehdieb Rob Roy. In diese Kategorie fällt auch der Garibaldi.

Giuseppe Garibaldi, seines Zeichens italienischer Revoluzzer, Freimaurer und Bartträger, wird unterstellt, im 19. Jahrhundert maßgeblich an der Befreiung und Einigung Italiens beteiligt, wenn nicht sogar hauptverantwortlich gewesen zu sein. Genau so wie Garibaldi, der Nationalheld, einst Nord- und Süditalien auf der Landkarte einigte, vereinigt Garibaldi, der Cocktail, Nord- und Süditalien im Glas: Aus Mailand stammt der Campari, aus Sizilien die Orangen.

Moment mal.

Campari.

Orangen.

Was ist da der Unterschied zu einem schnöden Campari-Orange?

Shortdrink vs. Longdrink

In ausnahmslos allen Rezepten, die ich bislang gesichtet habe, wird der Campari-Orange als Longdrink zubereitet. Ein Longdrink zeichnet sich zunächst einmal durch die größere Menge an Inhalt aus, so ungefähr ab 150 ml aufwärts. (Eselsbrücke: Bei einem Longdrink hast du länger etwas von deinem Drink.) Eng mit dem Begriff verbunden ist häufig auch die besonders triviale Art der Zubereitung: Viele Longdrinks bestehen lediglich aus einer Basisspirituose plus einem Filler wie Saft oder Soda. Dies spiegelt sich dann auch in der Namensgebung wieder: Wodka-Lemon, Whisky-Cola, Gin-Tonic – oder eben Campari-Orange. Serviert wird der Longdrink häufig in einem Highball-Glas.

Beim Garibaldi gestaltet sich das Ganze ein wenig anders: Zwar stoße ich auch hier zum überwiegenden Teil auf Longdrink-Rezepte – aber eben nicht ausschließlich. Auffallend häufig wird der Garibaldi nämlich auch mal als Shortdrink präsentiert, meistens in der Größe von 100 ml (bei einem Mischungsverhältnis von 6:4 oder 7:3), serviert in einem Tumbler.

Meine Neugier ist geweckt. Die erste (und einzige) heiße Spur: Der Garibaldi war zwei Perioden lang wohl als „offizieller“ Cocktail der International Bartenders Association gelistet, nämlich von 1987-1993 und von 1993-2004. Dummerweise wird die Homepage der IBA gerade überarbeitet und ist daher nicht erreichbar. Soweit ich mich erinnern kann, ist dort aber ohnehin keine Historie, sondern immer nur der aktuelle Stand zu finden.

Ich versuche mein Glück offline. Beim Stöbern auf Amazon und E-Bay stoße ich auf ein Buch mit dem Titel „Il libro dei cocktail internazionali. Seconda codificazione 1987-1993“ von Luigi Manzo. Bingo! Das hört sich doch genau nach dem an, was ich für meine weitere Recherche brauchen kann! Italienischkenntnisse sind zwar so gut wie nicht vorhanden, aber bei Cocktailrezepten dürfte dieser Umstand nicht weiter ins Gewicht fallen. Auf Amazon ist das Werk zwar vergriffen, auf E-Bay aber gerade noch bei einem einzigen Anbieter zu haben. Bezeichnenderweise stammt dieser aus Castelbuono, gelegen am Fuße der Madonie und damit auf Sizilien. Wenn das kein das kein gutes Omen ist!

Genau zwei Wochen später liegt das Exemplar dann in meinem Briefkasten. Ungeduldig werfe ich einen Blick hinein, muss jedoch zerknirscht feststellen, dass die Antwort weit weniger eindeutig ist als erhofft: Das Rezept schweigt sich nämlich über die absoluten Mengenangaben der Zutaten aus (z. B. in Milliliter) und gibt lediglich das Verhältnis an, und zwar 3/10 Campari und 7/10 Orangensaft. Einzig die Aussage, dass man den Drink in einem Tumbler servieren soll, könnte als Hinweis auf einen Shortdrink gedeutet werden.

It’s so fluffy

Während man sich also darüber streiten kann, in welcher Menge und in welchem Glas ein Garibaldi serviert werden soll, herrscht unter den Bartendern im Netz in einem Punkt große Einigkeit: Der Orangensaft wird unbedingt mit Luft angereichert (engl. to aerate sth.: etw. mit Sauerstoff anreichern, Luft zuführen, auflockern)! Was zunächst sehr wissenschaftlich und technisch klingt, ist tatsächlich nur eine andere Formulierung für das „Auffluffen“ oder „Schaumigschlagen“ des frischgepressten Orangensafts. Dies kann auf verschiedene Arten erfolgen:

  • Durch schweres Küchengerät. Es muss aber nicht unbedingt der 3000W-Blender mit 50.000 Umdrehungen die Minute sein – ein einfacher Stabmixer tut’s auch.
  • Durch einen (elektrischen) Milchaufschäumer, den du normalerweise für die Zubereitung von Milchschaum für deinen Kaffee verwendest. Achtung: Gemeint sind hier die Milchaufschäumer, die aussehen wie eine kleine Metallspirale an einem Griff – nicht die, die aussehen wie ein Wasserkocher! Wenn das Gerät einen Stecker für die Steckdose hat, ist es definitiv das falsche!
  • Durch einen Schneebesen. Verpasse dem Orangensaft die gleiche Behandlung wie sonst Eiweiß oder Sahne und schlage ihn im Rührglas schön schaumig.
  • Durch einen einfachen Dry Shake, d. h. durch Schütteln des Orangensafts im Shaker ohne Eis. Das ist zwar die anstrengendste Variante, funktioniert dafür aber immer und überall. Noch besser klappt’s, wenn du die Spirale deines Hawthorne Strainers mit in den Shaker gibst.

Wie er gemacht wird

Zutaten, Zubereitung und Zierrat.

Ich bereite den Garibaldi als Shortdrink in einem „Single Old Fashioned“-Glas zu, und zwar mit frischen Tarocco-Orangen. Dabei handelt es sich um eine von drei Sorten innerhalb der Pflanzenart „Blutorangen“, die in Sizilien heimisch sind (die anderen beiden sind Moro und Sanguinello). Blutorangen haben ihren Namen von der mehr oder minder roten Färbung ihres Fruchtfleischs, teilweise auch ihrer Schale. Die Intensität reicht dabei von „orange-rot-marmoriert“ bis hin zu einem satten karmesinrot. Diese Färbung tritt nur unter besonderen klimatischen Bedingungen auf, wie sie beispielsweise am Jahresende in Sizilien rund um den Ätna anzutreffen sind: Die rote Farbe ist nämlich eine Reaktion auf die hohen Temperaturunterschiede tags und nachts. Saison für Blutorangen ist daher der Winter. Bei uns findet man Taroccos und Moros von Dezember bis Februar in den Supermarktregalen.

Blutorangen sind milder, süßer und saftiger als andere Orangenarten.

Was bedeutet das für den Garibaldi?

Geschmacklich nur das beste: Meiner Meinung nach spielen diese Charaktereigenschaften nämlich hervorragend mit dem „bitteren“ Campari zusammen und ergeben in Summe einen perfekt ausbalancierten Drink! Optisch dagegen lässt sich – da der Saft der Blutorangen bereits rot und nicht gelb ist – leider kein stylischer Farbverlauf zwischen Orangensaft und Campari zaubern.

Zutaten

  • 70 ml frisch gepresster Orangensaft (aus Blutorangen)
  • 30 ml Campari

Zubereitung

Orangen auspressen und in den Shaker geben. Den Orangensaft trocken (d. h. ohne Eis) schütteln bis er leicht schaumig ist. Danach den Orangensaft über Eiswürfel in einen Tumbler gießen und den Campari hinzugeben. Zum Schluss mit einem Barlöffel ganz leicht umrühren, um beide Zutaten zu vermischen.

Dekoration

Eine Blutorangenscheibe.

Zutaten

  • 3/10 Campari
  • 7/10 Orangensaft

Zubereitung

Direkt in einem Tumbler mit Eis zubereiten.

Dekoration

Eine (halbe) Orangenscheibe.

Dave von Booze On The Rocks probiert den Garibaldi mit drei verschiedenen Bitterlikören aus, nämlich Campari, Cynar und Aperol. Mit dem Jigger misst er lediglich die Menge des entsprechenden Bitterlikörs ab und füllt die Highball-Gläser anschließend einfach mit Orangensaft auf – diese Art der Zubereitung und Darreichung spricht für einen Longdrink, die Mengenangaben laut Rezept dagegen für einen Shortdrink.

Zutaten

  • 45 ml Campari, Cynar oder Aperol
  • 60 ml Orangensaft

Zubereitung

Eiswürfel in ein Collins-Glas geben. Campari hinzufügen. Einen Schuss Orangensaft hinzugeben und leicht umrühren. Danach das Glas mit Orangensaft auffüllen.

(Anmerkung: Die Idee dahinter ist, einen Farbverlauf ins Glas zu zaubern – was ihm jedoch bei keinem der drei Versuche gelingt.)

Dekoration

Wahlweise eine halbe Zitronen-, Limetten- oder Orangenscheibe.

Video

Zwei Besonderheiten unterscheiden dieses Rezept von den anderen: Zum ersten handelt es sich hier eindeutig um einen Longdrink, sowohl von den Mengenangaben (~ 200 ml) her als auch von der Darreichungsform im Highball-Glas. Zum zweiten werden die Zutaten nicht geschichtet, sondern explizit im Glas durch Umrühren vermischt.

Zutaten

  • 45 ml Campari
  • 130 ml frischgepresster Orangensaft

Zubereitung

Die Zutaten in ein vorgekühltes, mit Eiswürfeln gefülltes Highball-Glas geben und leicht umrühren.

Dekoration

Eine halbe Orangenscheibe.

Video

Leandro spricht noch einmal das wichtigste Unterscheidungsmerkmal an: Das Anreichern des Orangensafts mit Luft („we’re going to aerate the orange juice“). Ansonsten wird auch hier der Cocktail wieder einmal als Longdrink im Highball-Glas serviert (dieses Mal jedoch mit geglücktem Farbverlauf).

Zutaten

  • 60 ml Campari
  • 120 ml Orangensaft

Zubereitung

Campari in ein Highball-Glas geben und einen Schuss Orangensaft hinzufügen. Den restlichen Orangensaft einem Dry Shake unterziehen und damit das Glas auffüllen.

Dekoration

Eine Orangenzeste.

Video

Wie er aussieht

Wen das Auge nicht überzeugen kann, überredet auch der Mund nicht.

Es gibt zwei unterschiedliche Ansätze, den Garibaldi (und den Campari-Orange) im Glas zuzubereiten: Beim ersten werden die Zutaten im Glas miteinander verrührt, beim zweiten versucht man einen sanften Farbverlauf von rot (unten) nach orange (oben) hinzukriegen. In einer ruhigen Minuten werde ich einmal versuchen, ob es – geographisch korrekt – auch umgekehrt geht, also orange unten und rot oben.

Da ich bei meinem Versuch Blutorangen verwende, muss ich mir über dieses Detail jetzt keine Gedanken machen: Der Orangensaft ist rot, der Campari auch – nix mit Farbverlauf.

Auf dem Bild ist leider von der „Fluffigkeit“ des aufgeschäumten Orangensafts nicht mehr viel zu sehen – man kann sie nur noch erahnen. Da habe ich mir wohl zu lange Zeit für’s Fotoshooting gelassen, so dass die Luft zwischenzeitlch zum Großteil wieder entwichen ist.

Ansonsten sieht der Garibaldi in dieser Aufmachung jedoch sehr „solide“ aus, eben wie ein Drink für jede Uhrzeit Gelegenheit.

Wie er schmeckt

De gustibus non est disputandum: Vorurteile, erster Eindruck, Tasting Notes und zweiter Eindruck.

Weil ich zu faul war, schweres Gerät anzukarren (aufzubauen, sauberzumachen und wegzuräumen), habe ich den Orangensaft einfach per Dry Shake aufgeflufft. Funktioniert grundsätzlich, ist aber leider nicht so nachhaltig wie einige Runden im Mixer. Falls man von der luftigen Textur also noch etwas auf der Zunge spüren möchte, sollte man sich mit dem Trinken etwas beeilen.

Das Ergebnis sieht frisch und fruchtig aus, und genau so schmeckt es auch. Die Blutorangen sind eine hervorragende Wahl: Sie sind nicht so sauer (bitter?) wie „orangene Orangen“, sondern milder, süßlicher, allgemein „runder“ im Geschmack – und harmonieren ausgezeichnet mit dem Campari. Der Drink ist perfekt ausbalanciert!

Aus Neugier werde ich das Rezept früher oder später trotzdem einmal mit anderen Orangen ausprobieren – letztlich bleibt mir ja auch gar nichts anderes übrig, da Blutorangen saisonal bedingt nur in den Wintermonaten verfügbar sind. Zum einen kann ich mir vorstellen, dass gerade im Sommer der höhere Säuregehalt von „normalen“ Orangen dem Drink eine besonders erfrischende Note verleiht, zum anderen will ich unbedingt auch einmal so einen fantastischen Farbverlauf ins Glas zaubern wie die Profis.