Illustration einer Frau mit blauen Augen und rot geschminkten Lippen, wie sie das "Pssst, Ruhe"-Zeichen macht.

…hey, du.

Ja, genau: Du.

Herzlich willkommen in meiner privaten Speakeasy-Bar. 100% virtuell, keimfrei und legal.

Vor 100 Jahren wurden die Goldenen 20er eingeläutet – damals wie heute eine turbulente Zeit. Nicht umsonst spricht man auch von den „roaring 20s“ (engl. to roar: brausen, sausen, brüllen, tosen) oder den „années folles“ (den verrückten Jahren).

Damals: In Europa versucht man, durch wildes Feiern den wirtschaftlichen und sozialen Folgen des ersten Weltkriegs zu entkommen. Ganz vorne mit dabei: Die Frauen. Diese haben während der Kriegsjahre ihren Mann gestanden, raus aus dem Korsett und ab in die Fabrik. Plötzlich ist der Krieg zwar vorbei, die Frauen aber noch da. Und in der Mehrzahl. Nun dürfen und wollen sie plötzlich arbeiten, wählen, rauchen, saufen und – nennen wir es: kokettieren. Der burschikose Look ist in, mit Kurzhaarfrisur und Flapper-Kleid.

Deutschland hinkt ein bisschen hinterher: Erst Mitte der 1920er Jahre, als die Hyperinflation durch Einführung der Rentenmark gestoppt war und die Reparationszahlungen durch den Dawes- und (später) Young-Plan neu geregelt waren, gibt es auch hier sowohl Grund als auch Gelegenheit zu feiern.

Und auf der anderen Seite des Atlantiks? Dort wird gerade der Alkohol verboten: Herstellung, Transport und Verkauf sind nun illegal. In der Folge florieren Schwarzbrennerei (Moonshining), Schmuggel (Bootlegging) und Schwarzmarkt (Speakeasies und Blind Pigs). Der Staat ist mit der Um- und Durchsetzung seiner Schnapsidee hoffnungslos überfordert, die Mafia freut’s.

Und heute?

Geschichte wiederholt sich. Irgendwie.

Statt der Spanischen Grippe grassiert gerade Corona durch die Lande. Statt Hitler versucht nun sein Gefolge zu putschen. Statt Sophie Scholl kämpft Jana aus Kassel für die Demokratie.

Aber: Statt Hyperinflation gibt es Minuszinsen und statt Bank Runs kommt es zu Runs auf Klopapier. Absinth ist wieder erlaubt, Koks inzwischen verboten. Frauen dürfen 100 Jahre später immer noch wählen und arbeiten gehen, verlangen nun aber unverschämterweise gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

Und für die Geselligen unter uns? Statt Prohibition gibt es Lockdown, Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote (außer natürlich für die Querdenker, die gegen all das demonstrieren, was man ohne ihr Verhalten gar nicht bräuchte). Wohl keine andere Branche ist von den Regelungen so hart betroffen wie die Gastronomie, und wohl keine andere Branche vermisse ich so sehr. Wird dadurch auch die klassische Speakeasy-Kneipe wieder salonfähig (und ist diese Formulierung nicht ein Widerspruch in sich)? Ein Artikel auf Mixology sagt: nein, zumindest nicht im kommerziellen Bereich. Was einige Covidioten allerdings in ihren Privatgemächern veranstalten, steht auf einem anderen Blatt.

Galt früher das Motto „Nur ein Schwein trinkt allein!“, zeugt diese Praxis heutzutage von sozialer Verantwortung seinen Mitmenschen gegenüber. So nutze ich die Zeit, mein wieder aufgeflammtes Interesse an der Bartenderei zu befriedigen. Ein Investment für die Zeit nach Corona. Denn da werden wir viel aufzuholen haben.

Cheers!